22. April 2021
Reintrieb
Weltpremiere: Neuartige wassergeschmierte Getriebe könnten schon bald herkömmlich ölgeschmierte Antriebe ersetzen
Korrosionsfreies Getriebe vor dem Prüflauf an der Technischen Universität München.
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Foto: © Reintrieb
Eine Testserie an der TU München erbrachte zu Ostern fast Unglaubliches: Völlig neu entwickelte und umweltfreundlich mit reinem Wasser geschmierte Getriebe halten in ersten FZG Tests offenbar deutlich mehr aus als herkömmlich ölgeschmierte Bauarten. Wird das der neue, grüne Game Changer für die Antriebsindustrie?
Zeitenwende im Maschinenbau: Mehrere Testserien an der TU München (TUM) brachten eine Sensation aus Sicht der Technik. Erstmals in der Ingenieursgeschichte gelang der schadensfreie Betrieb eines Hochleistungsgetriebes ohne umwelt- und klimaschädliches Mineralöl. Stattdessen verwendete das Team des österreichisch-deutschen Cleantech-Startups Reintrieb zu 100 Prozent reines Wasser. Wohlgemerkt ohne Additive. Eine Leistung, die bisher für technisch unmöglich gehalten wurde und Impact, Profitabilität sowie Klima- und Umweltschutz miteinander verknüpft.
Kein Getriebe hält ewig
An der Uni wird gelehrt: Richtig ausgelegt, können ölgeschmierte Getriebe theoretisch eine unendliche Lebensdauer erreichen. Nämlich dann, wenn sie mit einwandfreien, immer wieder erneuerten, nicht verunreinigten Schmieröl ohne Luft- oder Wassereinschlüsse und mit perfekten Dichtungen und Lagern betrieben werden. In der Praxis garantiert jedoch kein Getriebehersteller eine unendliche Lebensdauer, da diese perfekten Betriebsbedingungen nicht dauerhaft zu halten sind. Lager nutzen sich ab. Dichtungen lecken. Öl läuft aus und Feuchtigkeit, Wasser oder Luft kommen in das Getriebe. Die Folgen sind Fressen, Zahnbrüche, Oberflächenausbrüche und Verschleiß. Und damit ein beschädigtes Getriebe.
Es wird daher hoher Aufwand betrieben, um konventionelle ölgeschmierte Getriebe dicht zu halten. Nicht nur zum Schutz der Umwelt, sondern vor allem zum Schutz des Getriebes, insbesondere vor Wassereintritt. Mit häufigen Wartungsintervallen, Ölwechseln, Dichtungstausch und immer komplexeren und teureren Abdichtsystemen. Denn bereits geringe Feuchtigkeit im Öl führt zu einem dramatischen Schmierverlust und zu Getriebeschäden.
„Schon seit Jahren wird intensiv dazu geforscht, Mineralöl als Schmierstoff für Zahnradgetriebe durch unterschiedlichste synthetische Schmierstoffe, auch durch biologisch leicht abbaubare Pflanzenölderivate zu ersetzen. Aber die eleganteste Lösung für das Problem ist natürlich schlicht und einfach mit Wasser zu schmieren, ein technisch höchst anspruchsvolles Unterfangen mit beachtlichen Herausforderungen ans Material. Genau das macht die nun erzielten Testergebnisse von Reintrieb so wertvoll und vielversprechend für Wissenschaft und Industrie. Ganz zu schweigen vom Umweltschutz“, betont Dr. Ing. Klaus Michaelis, Experte für Zahnradgetriebe und Tribologie mit 50 Jahren Erfahrung in Forschung und Anwendung.
Der Durchbruch: Wasser statt Öl
All diese Probleme lassen sich mit einer einfachen, bestechenden und scheinbar unmöglichen Idee lösen: Statt mit Öl und seinen üblichen problematischen Zusatzstoffen einfach mit reinem Wasser schmieren. Der Haken an der Geschichte: konventionelle Materialien rosten, fressen und verschleißen mit Wasser. Reintrieb hat in mehrjähriger Forschung spezielle Zahnräder aus Hartmetall entwickelt, mit denen genau das möglich ist. Das löst sowohl das Umwelt- als auch das Getriebeproblem.
Die aktuell an der TUM durchgeführten Untersuchungen belegen den Durchbruch: Die Reintrieb Technologie ermöglicht Hochleistungsgetriebe mit reinem Wasser zu schmieren. Die Tests der wassergeschmierten Getriebe wurden mit den üblichen Leistungen und Belastungen durchgeführt, wie sie bei konventionellen ölgeschmierten Getrieben aus einsatzgehärtetem Stahl auftreten. Die Testergebnisse lassen eine vergleichbare anwendungsübliche Lebensdauer erwarten.
Die standardisierten FZG-Testverfahren wurden an der TUM entwickelt, um die üblichen Schadensformen und die Lebensdauer von Getrieben zu beurteilen. Reintrieb hat Versuche mit Leitungswasser, Salzwasser und handelsüblichem destillierten Wasser durchgeführt. Konkret zeigen die Untersuchungen, dass die mit Reintrieb Technologie gefertigten Zahnräder bei gleicher Belastung wie konventionelle Getriebe,
kein Fressen sowie keine Anfälligkeit gegen Zahnbruch und
keine Anfälligkeit gegen Oberflächenermüdung (Pitting/Micropitting) aufweisen und
der geringe beobachtete Verschleiß eine Lebensdauer erwarten lässt, die den üblichen Revisionsintervallen entspricht oder sie sogar übertrifft.
Die Zusammenhänge zwischen Materialzusammensetzung, Getriebeauslegung und Umwelteinflüssen, wie etwa die Wasserqualität, haben nach Erkenntnissen von Reintrieb einen entscheidenden Einfluss auf die Funktion und die Lebensdauer der Getriebe. Es bedarf weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen, um diese Zusammenhänge und Wechselwirkungen noch genauer zu erforschen. Ziel dabei ist es einerseits digitale Modelle zu entwickeln, mit denen verschiedenste wassergeschmierte Getriebe berechnet und ausgelegt werden können. Andererseits sollen Werkstoffe, Produktions- und Prüfverfahren entwickelt oder optimiert werden, um die Grenzen unterschiedlichster Einsatzbedingungen festzulegen.
Die Reintrieb Vision: Die Geschichte einer unmöglich scheinenden Idee
Auftraggeber der erfolgreichen Testserie ist das 2016 von den Brüdern Dominik (51) und Vincent Cofalka (44) sowie Siegfried Lais (77) gegründete High-Clean-Tech-Unternehmen Reintrieb GmbH mit Sitz in Wien. Buchstäblich sein halbes Ingenieursleben lang dachte Dipl.-Ing. Siegfried Lais immer wieder darüber nach, wie man das umweltschädliche Schmieröl in den Getrieben wohl zugunsten von einfachem Wasser loswerden könnte. Erst die Gründung der Reintrieb GmbH gemeinsam mit den beiden aus Vorarlberg stammenden Brüdern Cofalka, vernetzt denkende Pragmatiker, die an den nachhaltigen Umbau in Richtung Kreislaufwirtschaft glauben, ermöglichte die Finanzierung entsprechender experimenteller Forschung.
Basierend auf seiner jahrzehntelangen Konstrukteurs-Erfahrung entwickelte Diplomingenieur Lais jene technischen Visionen, auf der heute die Reintrieb Ankerpatente beruhen. Bereits sehr früh suchten die Reintrieb Gründer die Zusammenarbeit mit der weltweit renommierten Forschungsgesellschaft für Zahnräder und Getriebe mbH und dem Österreichischen Exzellenzzentrum für Tribologie (AC2T Research GmbH) in Wiener Neustadt. Diese Begleitung, der fachliche Austausch und die wissenschaftliche Validierung war und ist aus Sicht der Gründer unverzichtbar für den Erfolg eines derart zunächst undenkbar und unmöglich erscheinenden Unterfangens. Die Entwicklung und Erprobung der Reintrieb Ideen werden von Privatinvestoren, mit deutlicher Unterstützung aus staatlichen Mitteln der EU (Horizon 2020), des Austria Wirtschaftsservice (aws) und der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) finanziert.
Das europäische Patent der ölfreien, wassergeschmierten Hochleistungsgetriebe ist eines der Ankerpatente der Reintrieb GmbH, die zukünftig als Schutzrechtsfamilie ausgebaut werden soll. Unternehmensziel ist die Entwicklung neuartiger, patentierbarer und nachhaltiger Technik.
Diesem Prinzip hat sich das anders, neu und lateral denkende Team konsequent verschrieben. Gemeinsam mit Pionierkunden und industriellen Partnern entwickelt es seine Erfindungen nun bis zur Marktreife. Wasser, das für das Leben auf der Erde kostbarste, aber auch gefährdetste Gut, steht seit Gründung dabei im Mittelpunkt der Erfindertätigkeit. Das Selbstverständnis der experimentierfreudigen Erneuerer ist dabei jenes eines ESG/Impact-Forschungs- und Entwicklungsunternehmens dessen Aktivitäten bereits auf fünf der Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen einzahlen. Mit potenziell massiver Klima- und Umweltschutzrelevanz.
Mögliche industrielle Anwendung
Auf Basis der bisherigen Erkenntnisse und Testresultate erwartet das Reintrieb Team ein durchaus vielversprechendes und breites industrielles Anwendungspotential. Natürlich für den Antriebsbereich zu Wasser wie zu Land, aber nicht nur. Dabei geht es um die ständige, teils schleichende Kontamination von Böden, Luft oder Gewässern durch Schmieröl.
Einerseits machen wassergeschmierte Getriebe überall dort Sinn, wo Leckagen von schädlichem Schmieröl unerwünscht sind. Stichwort: industrielle Produktionsprozesse. Zum Beispiel in der Lebensmittel- oder in der Pharmaindustrie. Oder etwa bei der Erzeugung von Gummi oder Plastik sieht Reintrieb Chancen.
Andererseits ist die Wasserschmierung in allen Branchen sinnvoll, bei denen ein Eintritt von Wasser ins Getriebe häufig auftritt. Wassereitritt ins Getriebe zählt weltweit zu den bedeutendsten Störfaktoren in der Schifffahrt aller Klassen und führt zu kostspieligen Betriebsunterbrechungen. Aber auch für Getriebe in Kraftwerken, Sperrwerken oder Schifffahrtsschleusen, bei Rohrleitungen oder Pipelines und ganz generell bei Pumpen aller Arten könnte Wasserschmierung Vorteile bringen.
Aus heutiger Sicht ist das potenzielle Anwendungsspektrum also weit gefächert. Dazu der geschäftsführende Reintrieb Gesellschafter Dominik Cofalka: „Wir haben offenbar einen zuvor völlig unbekannten neuen Kontinent in der Antriebstechnik entdeckt. Den Kontinent der Wasserschmierung. Dazu gibt es buchstäblich noch kein Wissen, keine Formeln, keine Normen. Terra Incognita. Unsere Aufgabe als Entdecker und Pioniere sehen wir nun darin, diesen unbekannten Kontinent in Windeseile zu erforschen und zu erschließen. Zum Nutzen der Allgemeinheit im Sinne von Umweltschutz, Ressourcenschonung und Wirtschaftlichkeit.“
Die Reintrieb Technologie im größeren Zusammenhang
Mit dem Green Deal hat sich Europa das größte wirtschaftliche Experiment seit dem 2. Weltkrieg vorgenommen. Die angelaufene Transformation in eine nachhaltige Wirtschaft mit komplett neuen Spielregeln, wird nicht nur für Europa, sondern für die ganze Welt eine ungeheuer große Herausforderung. Vergleichbares hat es in der Geschichte noch nicht gegeben. In der EU treten die Bestimmungen nun Zündstufe für Zündstufe seit 2020 in Kraft. Hält der Fahrplan der EU, soll bis 2023 alles Wesentliche durchgeschaltet sein, um die ambitionierten Klima- und Umweltziele 2030 und 2050 zu erreichen.
Reintrieb antizipiert das regulatorische Rahmenwerk des EU-Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums. Die Umlenkung von Investments hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft basiert zu einem wesentlichen Teil auf der EU-Taxonomie. Vorausgesetzt die neue Technik hält, was sie verspricht, wird es künftig wirtschaftlich keinen Sinn mehr machen, in vielen Anwendungsbereichen auf die Technologie von ölgeschmierten Getrieben zurückzugreifen. Wasserverschmutzung aufgrund von Dichtungsschäden und anderen Zwischenfällen, Rohöl-Förderung unter fragwürdigen Rahmenbedingungen sowie die zunehmend prekär werdende Entsorgung von Altöl und Ölschlamm verlangen neue Lösungen, um einen Beitrag zu den 6 Klimazielen der Taxonomie zu leisten.
Wassergeschmierte Getriebe bieten eine ökologisch nachhaltige Lösung und stellen somit ein Asset für ein Veranlagungsportfolio nach ESG-Kriterien dar. Gleichzeitig verbessert sich das ESG-Impact-Rating von Produktionspartnern und Endanwendern der Reintrieb Technologie. Ein zunehmend spielentscheidender Faktor für eine günstige Finanzierung in allen Segmenten der Wertschöpfungskette.
Bilder, Abdruck honorarfrei (c) Reintrieb
Bild 1: Teststand für wassergeschmierte Zahnräder.
Bild 2: Korrosionsfreies Getriebe vor dem Prüflauf an der Technischen Universität München.
Bild 3: Getriebetest mit Wasserschmierung an der Technischen Universität München.
Pressekontakt:
Thomas Reiter, Reiter PR
+43 676 6688 611